Konversion mit Stern
Daimler baut neue Teststrecke in Immendingen
Bonn, 7. Januar 2015. Immendingen macht Mut. Die 6.000-Einwohner-Gemeinde im baden-württembergischen Kreis Tuttlingen hat sich den Herausforderungen der Gegenwart gestellt und alles gewonnen. Noch bevor die traditionsreiche Oberfeldwebel-Schreiber-Kaserne in Immendingen im Rahmen der Bundeswehrreform aufgeben wird, konnte die Gemeinde im Schulterschluss mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) den Grundstein für eine optimale Nachnutzung des riesigen Militärstandorts legen.
Verantwortlich für das Konversionsprojekt (v. l.): Markus Hugger (BM Immendingen), Thomas Felgenhauer (Daimler) sowie Axel Kunze, Markus Kästel und Stefan Menner von der BImA (Quelle: BImA, Ersteller: H. Seisenberger).
Markus Hugger dürfte aktuell zu den zufriedensten Bürgermeistern der Republik zählen. Der Verwaltungschef von Immendingen hat mit Hilfe der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben gerade ein leuchtendes Beispiel im Umgang mit dem Thema Konversion geliefert. „Wir wussten, dass wir uns bewegen müssen, weil sich unser Land verändert. Wir konnten das Ende unserer militärischen Geschichte absehen. Als wir daher vom Interesse der Daimler AG an dem Gesamtareal der Oberfeldwebel-Schreiber-Kaserne erfuhren, haben wir uns mit vollem Einsatz auf diese Zukunftschance konzentriert“, berichtet der 2010 ins Amt gewählte Christdemokrat.
Unterstützt wurde die Gemeinde Immendingen dabei mit viel Engagement von der BImA. „Auch uns war sofort klar, dass sich hier eine einmalige Gelegenheit bietet“, berichtet BImA-Verkaufsvorstand Axel Kunze. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verwaltet alle Liegenschaften des Bundes und vermarktet die Standorte, die der Bund, die Bundeswehr oder die alliierten Streitkräfte nicht mehr benötigen. Seit vielen Jahren steht die Konversion von militärischen Flächen im besonderen Interesse der Öffentlichkeit. Viele Bürger in den von Konversion betroffenen Kommunen befürchten negative wirtschaftliche Folgen, wenn Kasernen schließen und ausländische Militäreinheiten abziehen. „Wir nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst, doch wir können immer wieder nachweisen, dass in einem Konversionsprozess für eine Stadt oder Gemeinde durchaus mehr Chancen als Risiken stecken, wenn alle Verantwortlichen an einem Strang ziehen“, berichtet Axel Kunze.
Wirtschaft ersetzt Militär
Mehr als 120 mögliche Flächen hatte Daimler für die Ansiedlung eines neuen Prüf- und Technologiezentrums ins Visier genommen. „Wir gehören zu den besten Autobauern der Welt. Um weiterhin erfolgreich zu bleiben, braucht Daimler leistungsfähige Testszenarien, um alternative Antriebe, neue Sicherheitstechnologien und Assistenzsysteme erproben zu können“, beschreibt Thomas Felgenhauer, Leiter Assetmanagement bei der Daimler Real Estate GmbH, die Ausgangslage.
Immendingen konnte dabei mit harten Fakten überzeugen. Der Standort ist mit 450 Hektar mehr als ausreichend groß und über die A 81 von den Daimler-Entwicklungszentren in Sindelfingen aus in rund 60 Minuten Fahrzeit erreichbar. Außerdem ganz wichtig: Durch die Übernahme einer ehemaligen Kaserne verzichtet der Autobauer auf die Nutzung unberührter Naturflächen. „In Immendingen können wir ein ehemals militärisches Testgelände für zivile Zwecke aufwerten“, freut sich Thomas Felgenhauer. Allerdings: Daimler wollte nur nach Immendingen kommen, wenn das Gelände zu wirtschaftlich angemessenen Konditionen zu erwerben ist und in einem ausreichenden Zeitraum die Genehmigungen für Bau und Betrieb des Prüf- und Technologiezentrums erzielt werden können. Bei diesen beiden Vorgaben konnte die BImA ihre gesammelten Konversionserfahrungen in die Waagschale werfen. „Zuallererst haben wir ein festes Projektteam gebildet“, erzählt Markus Kästel.
Das neue Prüf- und Technologiezentrum in Immendingen wird aus sechs Testmodulen bestehen (Quelle: Daimler, Ersteller: ALDINGER+WOLF STUTTGART).
Der Leiter Verkauf in der BImA-Hauptstelle Freiburg schuf nach dem „One-face-to-the-Customer“-Prinzip eine belastbare Verhandlungsbasis. Gemeinsam mit seinem Projektkoordinator Stefan Menner und den Verwaltungskollegen aus Immendingen konnte er die Modalitäten für eine mögliche Nachnutzung des Militärstützpunktes durch Daimler in einer Zeitspanne klären, die mancher Kritiker der BImA als Anstalt des öffentlichen Rechtes nicht zugetraut hätte. Nachdem Ende September 2011 die Konversionsidee vorgestellt worden war, konnten im Mai 2013 eine Übergabevereinbarung und im April 2014 der aus drei Aktenordnern bestehende Kaufvertrag zwischen der Daimler Real Estate GmbH und der BImA unterschrieben werden. Die BImA erreichte sogar, dass einzelne Gebäude und Flächen schon vor der planmäßigen Übergabe von Daimler genutzt werden können. Am 18. September 2014 erteilte abschließend das Landratsamt Tuttlingen die 204 Seiten starke immissionsschutzrechtliche Baugenehmigung. Damit ist der Weg frei für die Baustelle. In den kommenden drei Jahren werden viele Kubikmeter Erde bewegt, sowie Straßen, Schotterwege und Gebäude neu- oder umgebaut.
Bevor die Bagger anfangen können, werden noch besonders geschützte Tierarten wie Haselmäuse und Blindschleichen umgesiedelt. Bei der Planung wurden Naturschutzbelange sehr ernst genommen. Im künftigen Prüf- und Technologiezentrum der Daimler AG in Immendingen wird ein Wildwegekorridor eingerichtet, und schützenswerte Magerwiesen bleiben erhalten. Zudem werden als Ausgleich 33 Hektar Wald in vier baden-württembergischen Landkreisen neu aufgeforstet und 43 Hektar als Waldrefugien aus der Bewirtschaftung genommen.
Arbeiten in Immendingen
Daimlers künftiges Prüf- und Technologiezentrum für Pkw in Immendingen wird aus sechs Testmodulen bestehen. Wesentliche Elemente werden ein dreispuriger Ovalrundkurs und verschiedene Simulationen von Stadt- und Landstraßen. Dadurch können viele 100.000 Test-Kilometer auf öffentlichen Straßen eingespart werden. Auf einer Meßstrecke mit rund 1,6 Kilometern Geradenlänge und einem Fahrdynamikparcours lassen sich Fahrverhalten, Fahrzeugleistung und Verbrauch exakt dokumentieren und analysieren. In Immendingen entwickelt Mercedes demnächst Fahrerassistenzsysteme. Hier wird an der möglichen Zukunft des fahrerlosen Fahrens geforscht. Etwa 200 Millionen Euro investiert der Autokonzern und schafft gleichzeitig mindestens 300 Arbeitsplätze für Facharbeiter, Techniker und Ingenieure in Immendingen.
Für Planung, Bau und Betrieb will Daimler – wo immer möglich – ortsansässige Firmen einbinden, um eine direkte Wertschöpfung vor Ort zu ermöglichen. Auch Kooperationen mit Schulen aus der Region wurden mit Blick auf die berufliche Ausbildungssituation am Standort Immendingen bereits ins Leben gerufen. „Für unsere Gemeinde ist das neue Prüf- und Technologiezentrum von Daimler eine Möglichkeit, uns als Wirtschaftsstandort neu zu definieren“, sagt Bürgermeister Markus Hugger. Es herrsche Aufbruchsstimmung. Überall in Immendingen würden Pläne für Wohnungsneubauten oder neue Geschäftsideen entwickelt. Die Gemeinde nutzt die Gunst der Stunde und will ein neues Gewerbegebiet ausweisen, damit sich auch noch weitere Zulieferer in Immendingen ansiedeln können.