„Seeadler fühlen sich hier pudelwohl“

Seltener Jungvogel auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr beringt

Bonn/Grafenwöhr, 7. Juni 2019. Ein junger Seeadler ist kürzlich auf dem von den US-Streitkräften genutzten Truppenübungsplatz Grafenwöhr mit zwei Ringen an seinen Beinen ausgestattet worden. Der Jungvogel ist dadurch nun eindeutig identifizierbar. Doch damit dies gelingen konnte, musste erst ein Baumkletterer eine 30 Meter hohe Kiefer bis zum Adlerhorst erklimmen. Insgesamt gab es in diesem Jahr schon vier erfolgreiche Bruten der seltenen Vogelart auf dem Truppenübungsplatz, der von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) und ihrem zuständigen Bundesforstbetrieb Grafenwöhr naturschutzfachlich betreut wird. Dieser Bruterfolg ist in Süddeutschland beispiellos. Fast die Hälfte aller bayerischen Seeadler-Brutpaare nistet auf dem militärisch genutzten Gelände.

Ein junger Seeadler wird auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr beringt (Foto: BImA).

Der Seeadler galt viele Jahre in Bayern als ausgestorben. Bis im Frühjahr 2001 wieder ein Brutpaar in Grafenwöhr entdeckt wurde. 2018 gab es gerade einmal 14 erfolgreiche Brutpaare mit 19 flüggen Jungadlern im Freistaat. Sie haben hohe Ansprüche, was die Ruhe während der Brutzeit angeht. Sobald ein Seeadlerpaar nach einer passenden Astgabel für den Horstbau sucht, beginnt diese störungssensible Zeit. „Daher fühlen sich die bayerischen Seeadler auf dem Truppenübungsplatz der US-Streitkräfte in Grafenwöhr pudelwohl“, erklärt Hubert Anton, Fachgebietsleiter Naturschutz des Bundesforstbetriebs Grafenwöhr. „Denn nur wenige Menschen dürfen in den militärischen Sicherheitsbereich.“ Zu ihnen gehören auch die Beschäftigten des Bundesforstbetriebes. Ihr Auftrag ist es, die Bundesinteressen gegenüber den US-Streitkräften zu vertreten und Natur und Landschaft in einem nachhaltig guten Zustand zu erhalten.

Klettern für den Artenschutz

„So schnell habe ich noch nie jemanden einen Baum hochklettern sehen“, beschreibt Hubert Anton den Baumkletterer Manfred Ferstl. Der sogenannte Wipfelstürmer kletterte innerhalb von Sekunden die 30 Meter hohe Kiefer hoch und bettet für die Beringung den Jungadler in einen gepolsterten Sack, um ihn sicher auf den Boden zu bringen. Dort warteten bereits Paul Baumann und Martin Gabriel. Die beiden sind ehrenamtlich tätig und bilden im Auftrag der höheren Naturschutzbehörde das Beringungsteam.

Vorsichtig hob Paul Baumann den jungen Adler aus dem blickdichten Sack. „Wir möchten dem jungen Vogel so wenig Stress wie möglich zumuten“, sagte er dabei. Sein Kollege Martin Gabriel erklärte währenddessen den Auszubildenden und Trainees beim Bundesforst, worauf bei einer Beringung zu achten ist. „Der Jungadler muss in seinen Fängen immer etwas zum Greifen haben, das ist ein natürlicher Reflex, der ihn davor bewahrt, aus dem Horst auf den tiefen Waldboden zu fallen“, berichtete Martin Gabriel.

Ringe für die Wissenschaft

Wichtig sei außerdem die passende Größe des Jungvogels. Er dürfe nicht zu klein sein, denn dann bestehe die Gefahr, dass die Ringe zum Teil über die Fänge rutschen und dort stecken blieben. Das wäre das Todesurteil für das Tier, denn es braucht zwei gesunde Fänge, um seine Beute festzuhalten. Der etwa fünf Wochen alte Jungvogel hatte die perfekte Größe und bekam an jedes Bein einen speziellen Ring mit Kürzeln. Entdeckt ein Vogelbeobachter in Zukunft den Seeadler, ist er eindeutig an den Ziffern auf den Ringen wiederzuerkennen. Martin Gabriel tastete im Zuge der Beringung auch den kleinen Nestling am Kropf ab und wog ihn. Der kleine Adler brachte 3,4 Kilo auf die Waage und ist damit gut genährt für sein Alter. Danach ging es mit Baumkletterer Manfred Ferstl wieder zurück auf den Horst.

Die gesammelten Daten werden nun in einer Datenbank gespeichert, so dass sich für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neue Erkenntnisse ergeben – je nachdem, wo der Adler in seinem späteren Leben auftaucht. Beispielsweise darüber, welche Strecken die bayerischen Seeadler zurücklegen und wo Jagd- und Bruthabitate liegen. Leider werden immer wieder auch tote Adler gefunden. Häufig sterben sie an Bahngleisen oder Straßen, wenn sie Aas fressen. Durch den Luftstrom der Züge oder Autos können sie schwer verletzt oder getötet werden.

Der Bruterfolg der Seeadler auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr lässt Hubert Anton dennoch positiv in die Zukunft blicken. Denn der seltene Raubvogel hat in Grafenwöhr eine neue Heimat gefunden.